Sonntag, 26. Mai 2013

Alles fließt: Viva con Agua de Sankt Pauli



Samstag Nachmittag auf Sankt Pauli, Südtribüne des Millerntor Stadions. Es zieht und unsere Jacken sind nass nach unserem Spaziergang im Regen über das Heiligengeistfeld. Nichtsdestotrotz sind wir bereit, noch mehr in uns aufzusaugen: Kunst. Schon die ersten Wände der Südtribüne sind voller Hingucker. Gut, dass wir dem Schietwetter getrotzt haben. 

Als ich meinem Mann neulich nahelegte, wir sollten als Neu-Hamburger mal endlich damit anfangen, uns die vielen interessanten Ausstellungen in Hamburg anzusehen, kam er mir sofort mit der Millerntor Gallery im Millerntor-Stadion. Der Mann hat aber auch nur Fußball im Kopf, dachte ich. Natürlich vermutete ich hinter der Millerntor Gallery eine Galerie, die irgendwelchen FC-St.-Pauli-Fußball-Kram ausstellte.
Nichts gegen den FC St. Pauli, aber zum Glück war das nicht der Fall: Im Millerntor Stadion fand vom 23. bis 25.5.2013 ausnahmsweise keine Fußball-Action statt, sondern eine Ausstellung gekoppelt an eine Spendenaktion. Zeitgenössische Kunst und zeitgemäßes soziales Engagement. Gesammelt wurde für Projekte des Trinkwasser Vereins Viva con Agua. Der Erlös kommt Wasser- und Bildungsprojekten zugute, die Spenden hingegen fließen nach Uganda ins WASH (Water, Sanitation and Hygiene) Projekt. Was beim Verkauf der Bilder und aus der Eintrittsgebühr an Einnahmen zusammenkommt, finanziert die Bildungsprojekte von VcA. Diese sollen die Menschen in Deutschland zum Thema WASH informieren, für die Problematik sensibilisieren und zum sozialen Engagement bewegen. Dem Hamburger Abendblatt zufolge, kamen für die Trinkwasserinitiative bereits am Tag der Eröffnung 25.000 Euro zusammen.

Die Millerntor Gallery wurde 2011 von Viva con Agua gegründet und hat nun schon zum 3. Mal ihre Tore geöffnet. Dieses  Jahr hat sie in den Zugangshallen zur Süd- und Haupttribüne Werke von rund 50 Künstlern aus Deutschland, Mexiko, Chile, Brasilien, England, USA und Spanien versammelt. Von Graffiti und Malerei aus unterschiedlichste Strömungen der Street und Urban Art, von Fotografien und Installationen über Performances bis hin zu Konzerten und Fan-T-Shirt-Verkauf war alles dabei.
Für die künstlerische Leitung war Jörg Heikhaus zuständig. Ein interessantes Interview mit dem Künstler und Galeristen findet ihr hier.

Benjamin Adrion im Katalog zur Ausstellung
Wer sich nun fragt, wie das alles zusammenkommt und –passt – also Viva con Agua, St. Pauli, Millerntor und Künstler, bekommt von Benjamin Adrion, dem Initiator von Viva con Agua de Sankt Pauli e. V. die Antworten. Für ihn, so schreibt er, war der FC St. Pauli mit seinem "heterogenen, bunten, sozialen, andersdenkenden, respektvollen, positiven Element die Motivation, aktiv zu werden."
 



Nachtrag 06.06.2013:
Ich habe noch eine Info bekommen, die ich euch hier gern noch weitergeben möchte: Ihr könnt einen virtuellen (also garantiert wind- und regenfreien) Rundgang durch die Ausstellung machen und zwar unter http://www.millerntorgallery.org

Detail aus einer Wamdgestaltung von DAVID SHILINGLAW

Wash-Machine. Von MR. KONG und STRASSENKOETER
Mensch Bobby. Von BOXI

Mülltonne
Katalog zur Ausstellung


Annemarie Dose: „Ich bin keine One-Woman-Show“

(ein Beitrag vom 15.09.2012 aus einem aufgelösten Blog, hier neu gepostet)

Mit einem Brotkorb zieht Annemarie Dose vor 18 Jahren los, um Hamburg Gutes zu tun. Die Idee, überschüssige Lebensmittel an Bedürftige zu verteilen, ist nicht neu, aber in Hamburg noch nicht ausreichend verbreitet – geschweige denn organisiert umgesetzt. So stößt die engagierte Witwe an manch einer Ecke zunächst auf Skepsis. Ihre Kinder befürchten, ihre Mutter würde sich blamieren. Die Bäcker, bei denen sie Brot für die Obdachlosen sammelt, haben Angst um ihre Kunden. Doch Annemarie Dose ist eine Macherin – und eine Optimistin. Wo andere Hindernisse sehen, sieht sie Herausforderungen. „Augen zu und los.“, sagt sie, „Meistens rennt man sowieso offene Türen ein.“ Annemarie und ihrer unermüdlichen Suche nach den offenen Türen verdanken heute über 20.000 sozial und wirtschaftlich Benachteiligte in Hamburg ihr täglich Brot: Ami, wie Annemarie Dose von allen genannt wird, gründet im Sommer 1994 nach dem Berliner Vorbild die Hamburger Tafel. Diese bringt – besonders durch das große Interesse der Medien – den Durchbruch für die Tafel-Initiative. Die Bekanntheit der Tafeln steigt, das Projekt ist erfolgreich, und prompt werden bundesweit in immer mehr Städten Tafeln gegründet. Inzwischen sind es fast 900.
Die größte soziale Bewegung unserer Zeit funktioniert nach einem erstaunlich einfachen Prinzip: Die Tafeln sammeln überschüssige Lebensmittel bei Herstellern und im Handel ein und lassen diese über ein Netz von sozialen Einrichtungen jenen zukommen, die sie am dringendsten benötigen. Und das sind lägst nicht mehr nur Obdachlose, Aids-Kranke oder Drogenabhängige, „es sind immer mehr junge Menschen und Familien mit Kindern von uns abhängig", sagt Annemarie Dose. „Uns“ – damit impliziert die 84-Jährige auch ihre zahlreichen ehrenamtlichen Mitarbeiter in Hamburg. Die Zahl dieser wächst mit der Zahl der Lebensmittelspender und Kontakte zu sozialen Einrichtungen. Aus dem Brotkorb werden große Lager- und Kühlräume. Neun Kühlwagen sind heute im Einsatz, um die Lebensmittel ohne Qualitätsverlust von den Spendern zu den Ausgabestellen zu befördern. 
Im Jahr 2010 bekommt Annemarie Dose ein Bundesverdienstkreuz, doch fast sagt sie die Zeremonie ab – sie möchte alle ihre Ehrenamtlichen als Gäste mitbringen dürfen und nicht nur 15 Auserwählte. „Ich bin keine One-Woman-Show“, erklärt sie, 120 ehrenamtliche Mitstreiter gehen mit Annemarie Dose durch dick und dünn.
Da die Hamburger Tafel als gemeinnütziger Verein keine finanziellen Rücklagen bilden darf, initiiert Ami im Jahr 2002 die Gründung der Annemarie-Dose-Stiftung. Diese soll als eine Art Sparschwein für den Verein fungieren – oder „Speicher“, wie man bei der Tafel ganz im Sinne der Hansestadt sagt. Der „Speicher“ ermöglicht der Tafel, einen Stiftungskapitalstock aufzubauen. Mit dem Zinsertrag aus dem Kapitalstock können langfristige Investitionen, unvorhergesehene Ausgaben sowie laufende Kosten der Tafel finanziert werden.
Dieses Jahr geht der „gute Geist“ der Hamburger Tafel in Rente. Annemarie Dose, das Gesicht des Projekts, gibt offiziell den Vorstandsvorsitz ab. Ihr Nachfolger ist Achim Müller, der sich seit 7 Jahren ehrenamtlich und mit genauso viel Elan, Zielstrebigkeit und Überzeugung bei der Tafel engagiert. Amis Samenkorn hat gekeimt – in Hamburg wird auch in Zukunft mit Begeisterung geholfen.