Sonntag, 26. Mai 2013

Annemarie Dose: „Ich bin keine One-Woman-Show“

(ein Beitrag vom 15.09.2012 aus einem aufgelösten Blog, hier neu gepostet)

Mit einem Brotkorb zieht Annemarie Dose vor 18 Jahren los, um Hamburg Gutes zu tun. Die Idee, überschüssige Lebensmittel an Bedürftige zu verteilen, ist nicht neu, aber in Hamburg noch nicht ausreichend verbreitet – geschweige denn organisiert umgesetzt. So stößt die engagierte Witwe an manch einer Ecke zunächst auf Skepsis. Ihre Kinder befürchten, ihre Mutter würde sich blamieren. Die Bäcker, bei denen sie Brot für die Obdachlosen sammelt, haben Angst um ihre Kunden. Doch Annemarie Dose ist eine Macherin – und eine Optimistin. Wo andere Hindernisse sehen, sieht sie Herausforderungen. „Augen zu und los.“, sagt sie, „Meistens rennt man sowieso offene Türen ein.“ Annemarie und ihrer unermüdlichen Suche nach den offenen Türen verdanken heute über 20.000 sozial und wirtschaftlich Benachteiligte in Hamburg ihr täglich Brot: Ami, wie Annemarie Dose von allen genannt wird, gründet im Sommer 1994 nach dem Berliner Vorbild die Hamburger Tafel. Diese bringt – besonders durch das große Interesse der Medien – den Durchbruch für die Tafel-Initiative. Die Bekanntheit der Tafeln steigt, das Projekt ist erfolgreich, und prompt werden bundesweit in immer mehr Städten Tafeln gegründet. Inzwischen sind es fast 900.
Die größte soziale Bewegung unserer Zeit funktioniert nach einem erstaunlich einfachen Prinzip: Die Tafeln sammeln überschüssige Lebensmittel bei Herstellern und im Handel ein und lassen diese über ein Netz von sozialen Einrichtungen jenen zukommen, die sie am dringendsten benötigen. Und das sind lägst nicht mehr nur Obdachlose, Aids-Kranke oder Drogenabhängige, „es sind immer mehr junge Menschen und Familien mit Kindern von uns abhängig", sagt Annemarie Dose. „Uns“ – damit impliziert die 84-Jährige auch ihre zahlreichen ehrenamtlichen Mitarbeiter in Hamburg. Die Zahl dieser wächst mit der Zahl der Lebensmittelspender und Kontakte zu sozialen Einrichtungen. Aus dem Brotkorb werden große Lager- und Kühlräume. Neun Kühlwagen sind heute im Einsatz, um die Lebensmittel ohne Qualitätsverlust von den Spendern zu den Ausgabestellen zu befördern. 
Im Jahr 2010 bekommt Annemarie Dose ein Bundesverdienstkreuz, doch fast sagt sie die Zeremonie ab – sie möchte alle ihre Ehrenamtlichen als Gäste mitbringen dürfen und nicht nur 15 Auserwählte. „Ich bin keine One-Woman-Show“, erklärt sie, 120 ehrenamtliche Mitstreiter gehen mit Annemarie Dose durch dick und dünn.
Da die Hamburger Tafel als gemeinnütziger Verein keine finanziellen Rücklagen bilden darf, initiiert Ami im Jahr 2002 die Gründung der Annemarie-Dose-Stiftung. Diese soll als eine Art Sparschwein für den Verein fungieren – oder „Speicher“, wie man bei der Tafel ganz im Sinne der Hansestadt sagt. Der „Speicher“ ermöglicht der Tafel, einen Stiftungskapitalstock aufzubauen. Mit dem Zinsertrag aus dem Kapitalstock können langfristige Investitionen, unvorhergesehene Ausgaben sowie laufende Kosten der Tafel finanziert werden.
Dieses Jahr geht der „gute Geist“ der Hamburger Tafel in Rente. Annemarie Dose, das Gesicht des Projekts, gibt offiziell den Vorstandsvorsitz ab. Ihr Nachfolger ist Achim Müller, der sich seit 7 Jahren ehrenamtlich und mit genauso viel Elan, Zielstrebigkeit und Überzeugung bei der Tafel engagiert. Amis Samenkorn hat gekeimt – in Hamburg wird auch in Zukunft mit Begeisterung geholfen.

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