Montag, 24. Mai 2010

An alle Frauen und alle Männer, die sich trauen: Ohren frei für das Frankfurter Vyber-Wunder


Die männlichen Kollegen wollen das Mic nicht hergeben; die schärfste Kritik kommt von den Frauen - ‚Vyber’ mit Beat im Blut haben es nicht einfach. Mantiz & Gunnpassion wissen: Wenn frau ans Mic will, sind Zweifel nicht erlaubt. Wie gut, wenn frau mit viel Witz, Talent und Selbstvertrauen ausgestattet ist.

Diese zwei Vyber sind Botschafterinnen für alle „Frauen mit Weiblichkeit und Intellekt“, die ihre „Vybz“ leben wollen. Ihr gemeinsamer Track "Wenn wir rollen" erschien 2006 unter der Schirmherrschaft Rob Easys auf der Kompilation "Zwischen S- Bahn und S-Klasse". Dieser Veröffentlichung verdanken sie positives Feedback aus vielen Teilen Deutschlands. Seitdem haben diese Powerpakete, die beide Claudia heißen, einige neue gemeinsame Tracks hervorgebracht. Die Gunnpassion-Claudia stammt aus Togo, ist dunkeläugig, dunkelhäutig, dunkelhaarig und hat eine tiefe, rauchige Stimme; die Mantiz-Claudia kommt aus dem hessischen Hattersheim, ist blauäugig, hellhäutig, blond und hat eine hohe, aufgeweckte Stimme. Kennengelernt haben sich die schwarze und die weiße Claudia 2005, als sie beide schon in Frankfurt lebten. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie auch längst die jeweiligen musikalischen Richtungen abgesteckt.

Mantiz (Claudia Maron), die sich nach dem lateinischen Begriff für die Gottesanbeterin (mantis religiosa) bennant hat, widmet sich nach einer Jamaika-Reise im Jahre 2000 dem Dancehall Reggae, zu dessen bekanntesten Vertretern in Deutschland z. B. Seeed, Culcha Candela, Gentleman, Peter Fox und Jan Delay zählen. Mantiz selbst bezeichnet ihre Richtung als eine Mischung aus Dancehall, Hip Hop und Electro.
Gunnpassion, deren Künstlername nichts mit 'guns' zu tun hat - Gunn ist ihr Nachname -, hat schon mit ihrer ersten Band Sugarcane die Richtung Hip-Hop, RnB und Rap eingeschlagen. Noch bevor Gunnpassion mit Sugarcane die Bühnen unsicher machte, hatte sie schon eine lange Reise hinter sich: Mit 5 Jahren kommt sie in ein Nonnen-Internat in Frankreich, wo sie bald Mitglied des Sonntagschors wird; mit 9 Jahren holt ihre Großmutter sie zu sich nach Deutschland - hier singt Gunnpassion in einem Gospelchor. "Die Bühne war schon immer mein Ding.", erzählt sie. "Dass ich Musik machen will, wusste ich schon als Kind!"

Über die Schnittstelle Hip Hop fließen in Mantiz' und Gunnpassions Zusammenarbeit die individuellen Orientierungen mit ein. Was dabei herauskommt, sind bunte, intelligente Tracks mit Ohrwurm-Potential. Dass die Solomusikerinnen Mantiz und Gunnpassion trotz ihrer unterschiedlichen musikalischen Schwerpunkte auf der Bühne eine gelungene Symbiose bilden, beruht auf ihrer Fähigkeit zu erkennen, bei welchen Ideen eine Zusammenarbeit überhaupt möglich ist. Sie verzichten bewusst darauf, individuelle Bestrebungen im Rahmen einer Band zu ersticken.

Der Verein SIKS (Stadtteilinitiative Koblenzer Straße), der - unter anderem - auf junge KünstlerInnen in Frankfurts sozial schwächeren Vierteln aufmerksam macht und sie fördert, lud Mantiz und Gunnpassion letztes Jahr zu gleich zwei Veranstaltungen ein. Wer Mantiz & Gunnpassion schon einmal auf der Bühne erlebt hat, kann diese Entscheidung leicht nachvollziehen: Die Bühnenpräsenz dieser Frauen ist überwältigend. Das Publikum schwingt schon ab dem ersten Beat mit. Selbst diejenigen, die Mantiz & Gunnpassion zum ersten Mal hören, singen mit, sobald sie sich einige Bruchstücke der Refrains gemerkt haben.

Bei einem gemütlichen Treffen mit den Musikerinnen wird deutlich: Der Alltagsstil dieser Frauen ist gemäßigter als auf der Bühne – Mantiz trägt Jeans, Gunnpassion einen kirschroten Trainingsanzug. Nur die hippen Frisuren und die großen Kreolen sind auch im Alltag obligatorisch – Letztere sind ihr Markenzeichen. Die Leute vor der Bühne verstehen ihren bunten Stil, da sie ihn in Verbindung mit der Musik erleben. Wenn die zwei Frauen aber mit der Bahn zu einem ihrer Gigs unterwegs sind, werden sie von manchen Passagieren gemustert, "als wären sie Aliens". Mantiz und Gunnpassion können solche Reaktionen nachvollziehen: "Frankfurt ist nun mal kein London oder New York, wo noch viel 'krassere Stylz' gang und gäbe sind".

Außer Musikerin ist Mantiz auch Deutsch- und Sozialkundestudentin. Vor allem in den letzten zwei Jahren, erzählt sie, sei das Studium etwas ins Hintertreffen geraten. Sie hat an ihrem Soloalbum gebastelt und es in Eigenregie fertig gestellt; die Produktionsfirmen wollten mehr Kompromisse als Mantiz einzugehen bereit war. "Wenn ich etwas 'Mainstreamigeres' machen würde, wäre es vielleicht einfacher, da reinzukommen", sagt sie. Die Labels sind kritisch gegenüber neuen Sachen und nehmen lieber neue Versionen von dem, was sich verkaufstechnisch bewährt hat.

Gunnpassion entschied sich: Nach einer 6-jährigen Vollzeitbeschäftigung sah sie ein, dass ihr Musikmachen nur zum Ausgleich oder als Belohnung in der Freizeit zu wenig war. Sie gab den Job auf, um sich voll und ganz ihren künstlerischen Tätigkeiten zu widmen. Inzwischen hält sie sich mit Promotionjobs über Wasser, arbeitet leidenschaftlich nicht nur an ihrer Musik, sondern aktuell auch an der eigenen Modekollektion, G-Spot, unter dem Label Amivi Gunn. Gunnpassion will versuchen, G-Spot dieses Jahr auf den Markt zu bringen. In ihrem Schrank findet sich dementsprechend nicht nur gekaufte, sondern auch selbst gemachte Kleidung.

So ist es auch keine Überraschung, wenn diese zwei Frauen sagen, für einen interessanten Stil brauche frau nicht viel Geld sondern individuelle Ideen. Die Frankfurter Szene sei "exklusiv geprägt", sagt Mantiz. Mit ihrem Track NMY bringt sie ihren Ärger über den oberflächlichen Hochglanz, die Exklusivität und Dekadenz zum Ausdruck - unter diesen leide das Leben in Frankfurt. "Die Kinder hängen an der Hauptwache vor den Konsumtempeln herum", beklagt die Sozialkundestudentin Mantiz. Die Stadt solle lieber kulturelle Treffpunkte bauen. "Klar, einige gibt es", sagt sie, dennoch ist Mantiz wütend darüber, "dass alte Gebäude, die früher Kulturzentren waren, abgerissen werden, damit daraus Büros oder Konsumtempel entstehen. Das ist etwas, was einen aus der Stadt vertreibt. In Frankfurt Plätze zu finden, wo man sich [kreativ] ausleben kann, ist schwierig."

Gunnpassion macht Musik in erster Linie für sich selbst. Das sei "ein bisschen egoistisch und ein bisschen wie ein 'Seelenstrip'". Natürlich gebe es ihr viel, "wenn die Leute etwas damit anfangen können". Mami ist ein Track, mit dem es Gunnpassion schwer fällt, damit auf der Bühne aufzutreten. Er ist eine Reflexion über Gunns Leben, über das Erwachsenwerden und die Veränderungen, die es mit sich bringt. Die Künstlerin hat den Song für ihre Großmutter geschrieben - diese ist kurz vor Gunns 18. Geburtstag verstorben. Neben den sehr persönlichen Tracks wie Mami, macht Gunnpassion auch typische "Hardcore-Hip-Hop"-Tracks mit der "ich liebe mich/ich finde mich so toll/ich bin Superwoman"-Botschaft.

Insgesamt setzen diese Musikerinnen mit ihren Texten den Schwerpunkt auf die Probleme und den Alltag junger Menschen. Somit gehören sie zu einer erfrischenden Gegenströmung in der sonst zur Aggressionsverherrlichung tendierenden, machodominierten Hip-Hop-Szene. "Je älter ich werde, desto bewusster wird mir die Vorbildfunktion auf der Bühne. Die hat man nämlich, ob man will oder nicht", sagt Gunnpassion. Wenn viele Kinder im Publikum sind, verzichten die beiden Künstlerinnen auf 'härtere' Tracks. Spielen sie in ihren Texten aber doch einmal mit härteren Worten, dann geschehe das mit einem Augenzwinkern und solle die Menschen dazu ermutigen, die Dinge beim Namen zu nennen. "Die Männer halten es für 'Frauenkram', wenn Frauen über ihren Alltag, Arbeit und Probleme singen. Die singen lieber darüber, wie jemand erstochen wurde, dass sie im Gefängnis waren usw.". Nach Mantiz' und Gunnpassions Erfahrungen halten sich die meisten Männer in ihrer Branche für eine 'geschlossene Gesellschaft'. "Viele von den Jungs haben vergessen, wie sie angefangen haben", sagt Mantiz, doch zum Glück haben sie und Gunnpassion "so lange 'rumgenervt, bis wir trotzdem das Mic gekriegt haben. Mit den Jahren haben es die Männer begriffen: Diese Frauen gehen nicht weg!"

Was Mantiz und Gunnpassion verdeutlichen, ist, dass Frankfurter Frauen im Hip Hop und Dancehall mehr sind und mehr sein wollen als nur hübsche Accessoires – ganz egal, ob sich die männlichen Kollegen auch weiterhin in Ignoranz üben oder „Tussis“ sie weiterhin für „unweibliches Auftreten“ kritisieren.


Info:

Gunnpassion im Internet: www.myspace.com/AMIVI
Mantiz im Internet: www.myspace.com/mantizmusik; www.mantiz-musik.com
www.youtube.com/watch?v=0ZtduhRCX98&feature=related

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen